Bärenjagd /Kindergeschichte



(Diese Geschichte habe ich vor einiger Zeit wie viele andere auch, für meinen kleinen Enkel Miguel geschrieben.)







Der Sommer war schon lange vorbei, der Herbst früh ins Land gezogen und wir Kinder freuten uns auf den Winter, der uns den herrlichen weißen Schnee bringen und den See hinten am kleinen Wäldchen zufrieren lassen würde. Aber noch war weit und breit kein einziges Schneeflöckchen zu sehen. Ich rannte jeden Morgen, wenn ich erwachte, als erstes auf nackten Füssen ans Fenster, um zu gucken, ob es endlich geschneit hatte. So wie heute...


Wieder nichts.


Enttäuscht rutschte ich von dem Stuhl , auf den ich mich gestellt hatte. Von unten rief meine Mutter: "Lenchen, kommst du endlich runter ! Wir wollen frühstücken !"


Es war kalt in meinem Zimmer, das ich noch mit meinem Bruder Jan teilte. Der schlief am Wochenende meist bei seinem Freund Andi. Das war nicht so toll. Weil man mit Jan meist die schönsten Spiele spielen und die tollsten Abenteuer erleben konnte. Er hatte immer die besten Ideen. Manchmal gingen diese aber auch nach hinten los. So wie letztens wieder...


Jan, Andi und Angie meine Freundin, welche die Schwester von Andi war , hatten "Bärenjagd" gespielt.


Erst waren wir alle zusammen in der Scheune und Jan meinte auf einmal, er hätte ein komisches Geräusch gehört. "Ob das vielleicht ein Bär war?", fragte er dann auch noch überflüssigerweise. Und tatsächlich hörte ich plötzlich das schwere Scheunentor knarren. Ich fürchtete mich vor so einem grossen Tier natürlich und hätte gedacht, dass da eigentlich jeder Angst haben müsste. Aber Andi und Jan schlichen beide zusammen, furchtlos und leise zum Tor, um nachzusehen, woher das Geräusch kam. Angie griff nach ihrem Stoffhasen und zog sich hinter einen Heuballen zurück. Ich schlüpfte hinterher. Bestimmt waren wir da erstmal in Sicherheit...



Doch von Jan und Andi kam Entwarnung. Kein Bär in Sicht. Wir krabbelten wieder hinter dem Heuballen hervor und liefen dann schnell hinter ihnen her. Alleine bleiben wollten wir nämlich ganz und gar nicht. Es könnte ja sein, dass der Bär noch in der Nähe war. Mein Bruder meinte, das wäre jetzt endlich einmal die Gelegenheit, auf Bärenjagd zu gehen. Bei dem Gedanken war mir nicht ganz wohl. Wie sollten wir wohl einen Bären fangen ? Jan hatte manchmal nicht nur gute, sondern auch verrückte Ideen. Trotzdem gingen wir zusammen hinüber zu dem kleinem Wäldchen. Kurz vor einem kleinen Steg, der über einen Bach führte, hörten wir wieder ein Geräusch.


Es hörte sich an wie ein tiefes Brummen. Da ich nicht wusste, wie Bären sich anhören, konnte es durchaus von einem solchen stammen. Schnell nahm ich Angies Hand und wir pressten uns ganz dicht aneinander. Angies Hase klemmte zwischen uns. Er war der mutigste von allen, glaube ich. Denn auch jetzt grinste er wie immer, mit seinem süßen Hasenlächeln, welches uns Kinder ganz und gar verzaubern konnte. Jan und Andi blieben ruckartig stehen und lauschten.


Als das Brummen aufhörte, lösten Angie und ich uns wieder voneinander und wir gingen alle zusammen über den Steg. Da es mittlerweile schon ziemlich dunkel geworden war, wollte ich eigentlich nicht mehr mit in den Wald zum Bären jagen gehen. Unsere Eltern haben uns immer gesagt, dass wir nicht im dunkeln draußen spielen dürfen. Sobald es dämmert, hatten wir im Haus zu sein.


Nur noch ein kleines Stück, meinte Jan, als ich ihn darauf aufmerksam machte. Na gut, bis zum Waldrand würde ich noch mitgehen, aber dann wollte ich doch lieber wieder zurück. Dass ich mich wahnsinnig fürchtete, obwohl wir bis jetzt wirklich weit und breit keinen einzigen Bären gesehen hatten, sagte ich natürlich nicht. In der Dunkelheit erschien mir der Wald drohend und wirklich furchteinflössend. Keine guten Voraussetzungen, noch weiter zu gehen, wenn man sowieso schon Angst hatte. Plötzlich rief Jan leise: "Schaut mal, da vorn. Dass muss er sein !"


Und tatsächlich. Aus dem Wald starrten uns zwei rotglühende Augen an. Reglos blieben wir zunächst noch stehen. "Oh nein, der Bär!", rief Andi und wir drehten uns auf der Stelle um und liefen, was die Beine hergaben, schnell zurück über den Steg und auf direktem Weg zu unserem Haus.


Als ich das Licht der Küchenlampe leuchten sah, hatte meine Angst schon wieder ein bisschen abgenommen. Wir rannten ins Haus und kamen völlig atemlos in der Küche an. Dort sassen meine Eltern und Frau Janssen, die Mutter von Andi und Angie.


Alle drei grinsten sprichwörtlich wie die Honigkuchenpferde vor sich hin. Erst dachten wir uns nichts dabei. Aber als dann wieder die Haustüre aufging und Herr Janssen schmunzelnd hereinkam, ahnten wir schon, dass irgendetwas auf uns zukam...


Und richtig. Kaum hatten wir uns von unserem Schreck halbwegs erholt - Andi hatte ganz schnell eine Kurzversion unserer Bärenjagd erzählt - lachten alle Erwachsenen prustend los!


Andis Vater sagte zu Jan: "Mach doch mal eben das Licht aus, Junge."


Verwundert sahen wir Kinder uns an, aber Jan ging gehorsam zum Lichtschalter und schaltete ihn aus. Nun im Dunkeln kam wieder ein bisschen die Angst bei mir hoch. Aber uns konnte ja nichts passieren. Unsere Eltern waren in der Nähe. Auf einmal sahen wir es wieder. Die glühenden Augen, die uns aus dem Wald schon angestarrt hatten. Jan, der noch beim Lichtschalter stand, knipste das Licht schnell wieder an. Und plötzlich wurde aus dem Bären Herr Janssen, der zwei kleine Taschenlampen eingeschaltet hatte und sich jetzt auch wieder das Lachen nicht verkneifen konnte.


Wir wussten nicht, ob wir erleichtert darüber sein sollten, dass wir nur Herrn Janssen vor uns hatten, oder uns ärgern, dass die Erwachsenen uns so hereingelegt hatten.


Mein Vater klärte uns jetzt endlich auf. Jan und Andi hatten ihnen schon so viele Streiche gespielt, dass sie ihnen das einmal gründlich heimzahlen wollten. Damit ihnen das auch gelang, hatte mein Vater beim Mittagessen erwähnt, dass er in den Nachrichten gehört hätte, dass sich ein Bär in unserer Gegend herumtreiben würde.


Dieser Gegenstreich war ihnen gelungen. Erst war mein Bruder ein bisschen böse auf unsere Eltern und die Janssens. Doch dann mussten auch er und Andi grinsen. Dass sie sich so einfach hatten hereinlegen lassen, hätte er niemals gedacht. Da zu keinem Zeitpunkt Gefahr für uns bestanden hatte, konnte mein Vater meine Mutter dazu überreden, dass Herr Janssen den wilden Bären spielt. Normalerweise hätte sie so etwas niemals mitgemacht. Und es war ja auch wirklich nichts passiert. Ausser, dass wir ein bisschen Angst hatten und die beiden Jungs es sich nun bestimmt zweimal überlegen würden, ob sie weiterhin Streiche mit unseren und Andis Eltern spielen würden. Während ich meinen Erinnerungen nachhing, hatte ich mich gewaschen und angezogen. Nun lief ich die Treppe nach unten, um endlich zu frühstücken.


Denn mein Magen knurrte schon - wie der eines Bären...

Kommentare

  1. Wow! Toll konstruierte Geschichte. Ich wusste gar nicht, dass du auch Geschichten für Kinder schreibst. Finde ich aber ganz toll, dass du für deinen Enkel schreibst.

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