Lila Sommer / Eine Geschichte über die noch immer herrschende Intoleranz von Homosexualität
Peng!
Isabella Fernandez knallte die Kühlschranktüre so heftig zu, dass
sie sich sofort wieder öffnete und ihr mit Schwung eine Flasche
Sekt entgegen rollte. Sie streifte kurz Isabellas Bauch und landete
dann vor ihren Füßen, um dort mit einem lauten Klirren auf den
bunten, mallorquinischen Fliesen zu zerplatzen. Sie war wütend auf
ihre Tochter Luisa und deren Freund Federico.Doch
Luisa sah das alles ganz anders.
Was
konnte sie denn dafür, dass ihr Herz nicht höher schlug beim dem
temperamentvollen Roberto, der sie bei jeder Party mit glühenden
Augen an schmachtete? Oder Juan, der in seiner Luxusvilla direkt am
Meer wohnte und sie eine Zeitlang mit roten Rosen geradezu
bombardiert hatte. Bis sie ihm klipp und klar erklärte, dass sie ihn
niemals erhören könne, weil sie eine schwere unheilbare Krankheit
hätte, die zudem auch noch hochansteckend war und sie ihn nicht der
Gefahr aussetzen wollte, ebenfalls am HIV-Virus zu erkranken.
Ja
– zugegeben, es war ihr im Grunde ihres Herzens zuwider, so eine
Ausrede benutzt zu haben.Aber diese drastische Lüge war notwendig
gewesen, fand sie. Sonst wäre sie ihn nie losgeworden. Juan hatte
einfach nicht begreifen wollen, dass sie nichts für ihn empfand.
Bei
Federico war das etwas anderes. Mit ihm hatte sie schon im
Kindergarten zusammen gespielt und zu ihm hatte sie tiefe, wenn auch
nur freundschaftliche Gefühle. Nach einiger Zeit hatte ihre Mutter
daher Ruhe gegeben, weil sie oft mit Federico zusammen um die Häuser
gezogen war und sie daraus geschlossen hatte, dass die beiden, weil
sie sich doch schon so lange kannten, irgendwann heiraten würden.
Wenn
Federico zu Besuch kam, behandelte sie ihn daher auch schon so, wie
einen künftigen Schwiegersohn. Sie bestand darauf, wenn er kam, dass
Luisa sich vorher besonders hübsch machte und sie selbst verschwand
in ihrer Küche, um einen ihrer berühmten, leckeren Kuchen zu
backen.
Ihre
Mutter, die äußerst selten zum Strand ging, hatte ihre beste
Freundin Paola besucht. Da es ein drückend heißer Tag gewesen war,
beschlossen die beiden gegen Abend ans Meer zu gehen, um eine Runde
zu schwimmen.
In
einer Sandkuhle entdeckte Isabella plötzlich Federico, der sich wild
knutschend, mit freiem Oberkörper und vollem Einsatz nicht etwa
einer Frau widmete, sondern gerade wieder in die welligen, schwarzen
Haare eines anderen Mannes griff und ihn über sich zog.
Isabella
bekam Schnappatmung bei diesem Anblick! Sie stand kurz vor einer
Ohnmacht und die Lust am Schwimmen war ihr gründlich vergangen. Laut
vor sich hin schimpfend, drehte sie sich abrupt um und lief den Weg
zurück, den sie gekommen waren. Paola hatte Mühe, ihr zu folgen.
Sie verstand nicht so recht, was los war. Hatte ihre Freundin etwas
gegen Schwule ?
„Nun
bleib doch mal stehen!“ rief sie. „ Heutzutage ist es doch nichts
schlimmes mehr, wenn sich zwei Männer lieben, Isabella.“
Doch
die verlangsamte ihre Schritte kein bisschen, sondern schien im
Gegenteil noch schneller zu laufen. Zuhause angekommen, knallte sie
ihrer Freundin die Türe vor der Nase zu und Luisa, die am Esstisch
in der Küche saß und Isabella hereinstürmen sah, erlebte zum
ersten Mal, wie viel Temperament sich jahrelang in ihrer Mutter
versteckt hatte. Sicher war Mamita früher auch schon mal wütend
geworden. Aber hier entlud sich gerade ein Vulkan.
Zuerst
verstand sie kaum ein Wort von dem, was ihre Mutter von sich gab.
Schwul
...! Sodom und Gomorrha ...! Heilige Madonna, steh uns bei... !
Doch
dann stand Isabella direkt vor ihr und sagte laut und deutlich:
„Damit das klar ist, dieser Federico wird unser Haus nie wieder
betreten und du wirst dich von ihm fernhalten. Verstanden, Luisa ?“
„Ähem,
Mamita...ich verstehe überhaupt nicht, was los ist“, wagte Luisa
vorsichtig einzuwenden.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter wusste sie schon
lange, dass Federico lieber Männer, statt Frauen mochte. Und sie
ahnte langsam, dass Isabella hinter ihr Geheimnis gekommen sein
musste.
Natürlich
hatten sie beide darüber geschwiegen. Im streng katholischen Spanien
waren die Menschen nicht so liberal wie in vielen anderen Ländern
mittlerweile.
„Du
musst auch nichts verstehen! Halte dich einfach an das, was ich dir
sage“, entgegnete ihre Mutter und fast sah es so aus, als wolle sie
Luisa schlagen.
Sie fuchtelte nämlich bei jedem ihrer Worte wie wild
mit den Händen und Armen in der Luft herum, um sie zu
unterstreichen.
Luisa
wollte schon wortlos in ihr Zimmer gehen, da wurde ihr auf einmal
bewusst, dass sie das alles nicht einfach so hinnehmen konnte - und
wollte...
Federico
war ihr bester Freund, ihr Vertrauter seit Jahren. Was Isabella von
ihr verlangte, war ja verrückt !
„Mamita,
bitte...“ fing sie an, aber ihre Mutter wollte sich auf keine
Diskussion einlassen.
„Nein,
Schluss jetzt! Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden.“
Isabella, die schon auf dem Weg nach oben ins Bad gewesen war, drehte
sich auf der Treppe noch einmal um.
„Ich
habe Kopfschmerzen und werde mich nach dem Duschen gleich hinlegen.“
Mit blitzenden, noch immer zornigen Augen sah sie Luisa an. Ihre
Stimme erhob sich wieder. „Und du versprichst mir, dass du ihn nie
wiedersehen wirst!“
„Das
kann ich nicht, Mamita!“ schrie Luisa zurück.
Ihre Gefühle
bahnten sich einen Weg. Sie konnte es nicht widerspruchslos
hinnehmen, was ihre Mutter von ihr verlangte.
„Luisa,
Federico ist krank! Ich will gar nicht daran denken, was für
schlimme Krankheiten er außerdem noch hat. Darüber diskutiere ich
jetzt auch nicht weiter mit dir!“
Kurz
schlichen sich ein schlechtes Gewissen und Schamgefühle bei Luisa
ein, weil sie bei dem Wort Krankheit sofort
an ihre schlimme Lüge denken musste, die sie als Verteidigung
benutzt und zweckentfremdet hatte, um Ruhe vor Juan zu haben.
Das
war dumm gewesen. Sie schwor sich, nie wieder eine Krankheit für
etwas zu missbrauchen, um etwas positives für sich daraus zu
gewinnen.
Völlig
außer sich und verzweifelt schnappte sie sich kurz entschlossen ihr
Handy und ihre Haustürschlüssel und rannte hinaus.
Isabella
hörte nur noch das aufröhren von Luisas Motorrad. Dann war es
still.
Und
nun stand sie in ihrer Küche, vor sich auf dem Boden einen Haufen
Scherben und ihre Tochter war weg.
Sie
bückte sich, um hinter dem Vorhang des alten Einbauschrankes, das
Kehrblech und den Handfeger hervorzuholen, welche sie im unterstem
Regal aufbewahrte und begann dann vorsichtig damit die Glasscherben
aufzusammeln.
Sie
hoffte, dass Luisa nicht gleich zu Federico gefahren war. Das sie
aber auch kein bisschen verstanden hatte, was Isabella ihr hatte
klarmachen wollen.
Heilige
Madonna, wie konnte der Herr sie nur so strafen? Ihre Tochter
befreundet mit einem Homosexuellem! Was die Leute sagen würden, wenn
das raus käme... ? Sie musste Luisa mit allen Mitteln von ihm
fernhalten. Das war ihre Pflicht!
Dabei
hatte sie immer gedacht, dass Federico eines Tages ihr Schwiegersohn
werden würde. Wie konnte sie denn nur so blind gewesen sein, fragte
sie sich.
Und
was war mit Luisa los? Warum legte sie sich so ins Zeug für ihn, wo
er doch – wie sich jetzt herausgestellt hatte – überhaupt keine
Ambitionen gezeigt hatte, um sie zu werben.
Sie
begrüßte es, dass Luisa mit 18 noch Jungfrau war. Zumindest ging
sie stark davon aus. Das hätte jetzt auch noch gefehlt. Ihre Tochter
der Ehre beraubt und dann noch mit diesem Federico befreundet... !
Isabella
beschloss, sich das Zimmer ihrer Tochter einmal gründlich anzusehen.
Welche Geheimnisse hatte sie vor ihr. Warum verteidigte sie Federico
so ?!
Es
war wirklich sehr heiß in diesem Sommer. Eigentlich wollte sie nur
eins. Unter die Dusche und dann schlafen. Aber erstens war sie gerade
viel zu aufgeregt und außerdem wollte sie nun unbedingt wissen, was
Luisa eventuell noch alles vor ihr verbarg, wenn sie schon die
Homosexualität ihres Freundes vor ihr geheim gehalten hatte.
Sie
betrat die kleine Kammer ihrer Tochter, die von lila Farben dominiert
wurde. Der Teppich, die Vorhänge, der Lavendel auf der Fensterbank,
die Schleifen an dem Stuhlkissen vor ihrem Schreibtisch, die
Bettwäsche. Alles in den verschiedensten Lilatönen.
Das
letzte Mal war sie vor einem halben Jahr bei Luisa im Zimmer gewesen,
aber nur kurz, um ihr einen hübschen Blumenstrauß zum Geburtstag
auf ihren Tisch zu stellen.
Es
hatte sich nichts verändert. Oder doch ?
Was
war das für ein Foto in dem Bilderrahmen auf ihrem Nachttisch ?
Neugierig
nahm sie das Bild in die Hand und betrachtete es.
Luisa
in inniger Umarmung mit Daniela, der Tochter ihrer besten Freundin
Paola !
Das
wäre nicht unbedingt schlimm gewesen, wenn es sich nur um ein
unschuldiges Freundschaftsfoto gehandelt hätte.
Aber
im Bruchteil einer Sekunde hatte Isabella die offenstehende Schublade
wahrgenommen und was sie da sah, ließ sie erstarren. Noch ein Foto
von Luisa und Daniela.
Diesmal
völlig in einem tiefen, hingebungsvollem Kuss versunken.
Und
auf einmal wurde ihr vieles klar.
Darum
also nie ein Freund, den man normalerweise irgendwann den Eltern
vorstellte. Auf Luisas Partys waren auch fast immer nur Mädchen
eingeladen, ausgenommen natürlich Federico. Logisch, dass sie sich
so für ihre Freundschaft mit Federico einsetzte. Sie war lesbisch !
Isabella
setzte sich aufs Bett. Jetzt verstand sie sogar, warum es
ausgerechnet Lila sein musste, als sie Luisa gefragt hatte, welche
Farben sie gerne für ihr Zimmer haben wollte.
Lila,
die Farbe der Lesben und Schwulen.
Die
Symbolfarbe Lila als eine Mischung von Rot und Blau für das
sogenannte dritte Geschlecht.
Sie
liebte ihre Tochter. Aber konnte sie sich damit abfinden, dass sie
sich zu Frauen hingezogen fühlte?
Würde
sie über ihren Schatten springen können, um Luisa nicht zu
verlieren? Konnte man vielleicht ihre Krankheit
heilen ?
Lange
saß sie auf dem Bett ihrer Tochter und war ganz in ihre Gedanken
versunken. Dann hörte sie irgendwann plötzlich ein Motorengeräusch
vor dem Haus.
Luisa
war nach Hause gekommen.
Was
sollte sie jetzt tun ?
©
Tilli Ulenspeel
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